Eine Fahrradreise mit Kindern? "Warum nicht?". Nachdem wir, Lea, Gregor und unsere Tochter Ronja aus Berlin, 2 Jahre lang vom einen Ende Amerikas bis zum anderen Ende radelten, folgt nun Teil 2 der Reise. Mit neuem Nachwuchs Mateo erkunden wir ab April 2016 den Süd-Westen Europas.
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A bicycle trip with a child? "Why not?". After we, Lea, Gregor and our daughter Ronja from Berlin cycled from one end of America to the other, the second big adventure is following. With our new family member Mateo we will explore the south west of Europa, starting in April.


Montag, 12. September 2016

Heimweg - Ausrollen

Belgien - Niederlande - Niedersachsen - Sachsen-Anhalt - Brandenburg - Berlin

Ein langer Sommer geht zu Ende. Wir sind in Deutschland und befinden uns auf dem direkten Weg nach Berlin. So wie die Zugvögel sich gerade sammeln und ihre Winterplätze im Süden anfliegen, ist auch für uns die Zeit der Heimkehr gekommen. Noch ist die Kälte des Winters nur schwer vorstellbar, der Altweibersommer verjüngt den September. Wir wähnen uns im Mai, doch es ist nur Trug: Die Zeichen stehen auf Herbst; goldend glänzt die Sonne am Morgen, wenn sie ihre ersten Strahlen durch den Nebel führt; das erste Birkenlaub fällt auf unsere Picknickdecke; Bucheckern, Haselnüsse, Eicheln, alles wird von Ronja eingesammelt und hinsichtlich der Verwertbarkeit zum Essen oder Basteln weiter verarbeitet; hoher Mais steht Spalier auf unseren letzten Kilometern; Plakate künden von Erntedankfesten in den Gemeinden und laden ein, das Werk des Sommers zu feiern. War es ein guter Sommer?

Für uns waren die letzten Wochen wieder sehr gelungen. Unsere Freunde Lena und Moritz mit ihren Kindern Karla und Edda, fortan nur noch die Hummels genannt, kamen an die Maas um ihren Sommerurlaub mit uns zu verbringen. 
Sie hatten die Sonne und jeden Menge Abwechslung für uns im Gepäck. Gemeinsam schalteten wir vom vierer auf den achter Modus: für acht Menschen kochen, für acht Menschen einen Schlafplatz finden, die Route planen, Bedürfnisse berücksichtigen. Nach ein paar wunderschönen Tagen in den belgischen Ardennen, in der wir oft in kleinen Bergflüssen badeten, romantische Lagerplätze im Wald fanden oder uns mit der Zeckenzange viel zu vieler Zecken entledigten, kamen wir endlich ins Velo Wonderland: Die Niederlande. 
Die Emanzipation des Radfahrens, hier ist sie erreicht. Unnütz allzu viele Worte darüber zu verlieren, es kommt auf einen Selbstversuch an. Auch wenn die Landschaft auf Dauer etwas reizarm ist, so schafft es das ausgeklügelte Radwegenetz dies wett zu machen. Sicher und frei von Autolärm radelten wir mit den Hummels schwatzend durch Holland. Auf Reisen dehnt sich die Zeit, doch reist man gemeinsam mit so guten Freunden, wird sie noch um einiges länger. Am Morgen des Abschieds von den Hummels kamen mir die ersten vier Reisemonate so viel kleiner vor als die zwei Wochen mit ihnen. Sie waren der I-Punkt dieser Reise und so wie das I ohne seinen Punkt nichts ist, würde dieser Reise ohne die schönen 2 Wochen mit der Familie Hummel etwas Wichtiges gefehlt haben.

Diese Radreise durch Westeuropa war unter vielen Gesichtspunkten, verglichen mit der durch die Amerikas, verschieden und dadurch, dass wir dort das long-distance-biken erlernt und unseren Stil entwickelt haben, war das paar Stiefel, mit dem wir nun durch Europa schritten, vielleicht ein paar Nummern zu groß. Westeuropa - das große Abenteuer wartet in anderen Erdteilen. Auch wenn wir vorher unsere Erwartungen hinsichtlich folkloristischer Authentizität, unvoreingenommener Gastfreundschaft, menschenleerer Weite und velophiler Solidarität bewusst gering gehalten haben, konnten wir nicht verhindern, genau mit diesen, für uns den tieferen Sinn des Radreisens ergebenden, Bestandteilen zu hadern. "Wir sind hier ja nicht in Bolivien", "Kanada, oh ja Kanada", "Ein bisschen argentinische Pampa wäre jetzt genau das, was ich brauche", Sehnsucht auf hohem Niveau oder doch eher klarer Fall von Man-möchte-immer-das-was-man-gerade-nicht-haben-kann? 
Retrospektiv wird sich der Wert der letzten 5 Monaten noch enthüllen, dass braucht seine Zeit.

Dieser Sommer war unser Familiensommer. Wir wuchsen zusammen und lernten uns kennen - eine intensive Zeit, wie wir sie wahrscheinlich nicht mehr oft haben werden können. Mateo hat seine Radlertaufe bestanden. Er ist wetterfest und nicht zu stoppen. Auch wenn er nicht aktiv am Radfahren beteiligt war, futterte er schon die ganz großen Radlerportionen. Monatelang war es seine liebste Beschäftigung zum Fahrrad zu krabbeln und die Kurbeln und Ketten unserer Räder zu inspizieren - das Schrauben liegt ihm im Blut. Für Ronja, die nun wieder die Hälfte ihres Lebens auf Radreisen verbracht hat, werden von dieser Reise auch Erinnerungen für ihr Leben bleiben. Sie konnte viel lernen und hat, wie sollte es anders sein, ein starkes Interesse an Sprachen, Geographie und anderen Kulturen entwickelt. Gleichzeitig hat sie nun aber auch erfahren müssen, was Heimweh und Vermissen bedeutet. Ihr Kinderladen, ihre Freunde und Großeltern, der Spielplatz in Berlin und ihr Zimmer waren oft Thema. Sie weiß die Vorzüge aus beiden Leben zu schätzen. Nächstes Jahr, wenn Ronja eingeschult wird, erfährt das Reiseleben dieser Familie ohnehin eine jähe Zäsur. Die Reisen werden für eine lange Zeit kurz bleiben müssen  - es erscheint uns wichtig, Ronja nicht aus der Schule herauszunehmen und sie ihrer sozialen Kontakte zu berauben. Mit 5 Jahren war Ronja noch etwas zu klein um sich aktiv am Radfahren zu beteiligen. Sie liebt ihren Anhänger, das Weehoo, aber die Möglichkeit selber in die Pedale zu treten, nutzte sie für weniger als ein Prozent der Strecke. Welch elegante Überleitung zur nächsten Pedalera: PedaLea. Unsere Freundin Heidi aus Belgien kündigte ihrer Tochter Nesta die Ankunft Ronjas wie folgt an: "…and her mama, she is really the strongest woman of the world". Unerschütterlich nahm Lea das zusätzliche Gewicht von Ronja und dem Weehoo (ca. 30kg) hin. Dazu noch eine liebevolle zweifache Mutter zu sein, Mateo zu stillen und den unkomfortablen Campingalltag mitzumachen, ist eine bemerkenswerte Leistung. Ich bin so froh, dass sie mich gefunden hat und wir gemeinsam diese Leidenschaft teilen können. Eine Leidenschaft deren Feuer immer wilder brennt.
Wo wir sie zum nächsen Mal löschen werden?

Zum Ende
Wir waren auf den Tag genau 5 Monate unterwegs. Auf kürzestem Weg von Portugal nach Deutschland sind es etwa 2500km, wir haben mehr als das doppelte für diesen Weg verwendet und dies, obwohl wir weite Strecken in Frankreich mit dem Zug gefahren sind. Am Ende wird der Tacho bei 5750km stehen bleiben. Doch noch sind wir noch nicht zu Hause. Wir fahren einmal quer durch Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, unser Ziel ist die Elbe und die Tore von Magdeburg. Von dort kann man, stellt man sich auf die Zehenspitzen und kneift die Augen ganz eng zusammen, schon fast die Spitze des Berliner Fernsehturms sehen. Das reicht, um als Heimkommen abgesegnet werden zu können. 

Dann können auch wir unser eigenes Erntedankfest feiern. Mit unserer Familie und unseren Freunden die Erlebnisse des Sommers zu feiern. Es war ein guter Sommer.

Weitere Photos hier: https://goo.gl/photos/AHtAhZ9Fav9zm5xf7

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