Eine Fahrradreise mit Kindern? "Warum nicht?". Nachdem wir, Lea, Gregor und unsere Tochter Ronja aus Berlin, 2 Jahre lang vom einen Ende Amerikas bis zum anderen Ende radelten, folgt nun Teil 2 der Reise. Mit neuem Nachwuchs Mateo erkunden wir ab April 2016 den Süd-Westen Europas.
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A bicycle trip with a child? "Why not?". After we, Lea, Gregor and our daughter Ronja from Berlin cycled from one end of America to the other, the second big adventure is following. With our new family member Mateo we will explore the south west of Europa, starting in April.


Donnerstag, 17. März 2016

Carretera Austral

Die Carretera Austral 
Villa Santa Lucia bis Cochrane

In dieser Nacht campen wir am Zusammenfluss des Rio Baker mit dem Rio Neff. Der breite und mit türkisblauem Gletscherwasser gefüllte Rio Baker, stürzt sich vor der Kulisse des Campo Hielo Norte (nördliches Eisfeld) mit gewaltigem Getose in einem Wasserfall in den Rio Neff. Die Sonne hat vor einer halbe Stunde ihre heutige Rundfahrt beendet. Es kann nur noch ein paar Minuten dauern, bis die Sterne des Südhimmels den Kampf gegen das Tageslicht gewonnen haben werden, um mit ihrer funkelnden Schönheit der Wildnis Patagoniens zu noch größerer Anmut zu verhelfen. Der Lobgesang an dieses schöne Land wird auch mit diesem Beitrag keinen Abbruch finden. Nein, es ist noch schöner geworden, wilder, niegesehen, absolut.

Die Carretera Austral (Südstraße und prestigeschwangeres Riesenprojekt von Pinochet) führt durch den gletscherreichen Süden Chiles. Im Norden beginnt sie in Puerto Montt und führt auf 1300km Länge bis zu dem kleinen Fischerdorf Villa O'Higgens. Entlang der Strecke leben gerade einmal 100 000 Menschen und die Hälfte davon lebt allein in der Provinzhauptstadt Coyhaique. Es ist einsam und wild. Die Straße ist bis auf ein kurzes Stück bisher noch nicht aspahltiert worden. Ihr Zustand reicht von sehr gut befahrbar bis zur übelsten Buckelpiste. Der Topografie dieses fluss- und seenreichen Landes tributzollend, gibt es nur 2 mögliche Straßenverläufe: steil bergauf oder steil bergab. Das Radfahren wird dadurch zur kraftzehrenden Schwerstarbeit. Auf den steilen Rampen drehen die Reifen durch und bergab hoppeln unsere Räder über die Wellblechpiste. Kalte Winde und das typische patagonische Wetter sorgen für zusätzliche Abwechslung. "Cuatro estaciones en un dia"  (vier Jahreszeiten an einem Tag) lautet die übliche Antwort auf die Frage nach dem Wetterbericht. Heute zum Beispiel konnten wir beim Frühstück im Sonnenschein baden, zum Mittag gab es kalten Wind mit Hagelschauer und zum Abendbrot einen wolkenlosen Himmel mit Herbstfeeling. Aber all diese Unannehmlichkeiten sorgen einfach nur dafür, dass das Erlebte umso besonderer wird, getreu dem Motto: "Bei schönem Wetter kann jeder auf dem Elberadweg fahren!" Für morgen sind 20°C mit Sonnenschein angekündigt, besser ist, wir halten schon mal die Daunenjacken bereit!

21 Monate Radreise und die hiesigen desolaten Straßen fordern ihren Tribut. In nur 3 Tagen haben sich 2/3 unserer Elektronikausrüstung verabschiedet. Der mp3-Player, die Solarzelle und unsere kleine Stereoanlage waren die ersten Opfer. Die Kamera hat nun einen Wackelkontakt. Sie ist sehr zickig geworden und Hochformatfotos lässt sie überhaupt nicht mehr zu. Am ersten Tag auf der Carretera platzte Gregors neuer (3000km) Schwalbe Marathon Mondial auf der Straßenbaustelle zwischen Villa Santa Lucia und La Junta. Aus den zwei Beuteln mit Ersatzteilen und Reparaturmaterialen ist mittlerweile einer geworden. Wir schrumpfen uns so langsam schlank. So singen wir halt häufiger und eine spannende Gute-Nacht-Geschichte von Tropfi dem Wassertropfen ist allemal besser, als eine Folge Benjamin Blümchen.

Wir haben noch nie so viele Radfahrer getroffen wie hier. Das kam völlig überraschend, da dies im Gegensatz zu der sehr anstrengenden Straße steht. Wir treffen täglich neue und haben schon fast den Überblick über Namen, Herkunft und Ziel der Reise der Anderen verloren. Es sind erstaunlich viele junge Chilenen, die sich dieser harten Strecke stellen. Aber auch Radreisende ganz anderer Art gibt es hier zu treffen. Ein Paar aus Berlin, er 75, sie 68, ist zu seiner ersten Radreise aufgebrochen. Viele verjubeln ihren Jahresurlaub, auf der Strecke für die man ungefähr einen Monat braucht, für andere ist es gerade der Anfang auf dem Weg nach Alaska. Die schönste Begegnung hatten wir in Puerto Rio Tranquillo: Betty, Joan, Ares (6) und Marianna (3) - unsere erste Radfahrfamilie. Wir waren richtig aufgeregt und wussten nicht was wir sagen sollten, als diese vier Katalanen auf dem Campingplatz aufschlugen. Wir beobachteten sie und erkannten an ihnen vieles was wir ähnlich machen. Wir stellten uns ihnen vor und verbrachten schließlich den ganzen nächsten Tag zusammen. Die vier fahren leider nach Norden und so bleibt diese Begegnung vorerst nur kurz. Ares fragte, warum wir nicht einfach zusammen weiterfahren können, die Himmelsrichtung sei doch total egal. Es liegen noch viele Wege vor uns. Bestimmt wird auch einer mit dir beradelt werden, Ares. Wen es interessiert, wohin diese Familie unterwegs ist: http://petitsnomades.cat

Unterdessen ist noch von einem ganz anderen großen Ereignis zu berichten. Vor 4 Tagen kam die Schnullerfee nach Patagonien geflogen. Und das kam so: Ronja hat in den letzten Wochen eigentlich immer, wenn es einmal etwas komplizierter für sie wurde, sofort inbrünstig nach ihrer Niña Mama (in Ronja für "Schnuller") gerufen. Wenn sie ihren Willen durchsetzen konnte, war sie dann immer sehr anhänglich an Lea und hat mit ihren kalten Händen in ihrem Ausschnitt herumgefummelt. Eines schönen, aber durch Ronjas Schnullerabhängigkeit sehr zeitintensiven Morgens, war es dann soweit. Als sie gerade von einem Niña-Mama-Schreianfall herunterkam fragte Gregor sie, ob sie nicht den Schnulli in einen Baum hängen möchte. Die Niña-Mama-Fee könne dann vorbeikommen und ihn endlich abholen, bei anderen Kindern sei sie kürzlich auch schon gesehen worden. Zu unserer beider Verwunderung willigte sie ein. Natürlich musste der Schnulli an eine  Azul Schnur (in Ronja für "blaue Schnur") gebunden werden, das war ihr wichtig. Also hing sie ihren heißgeliebten Schnuller in den nächsten Baum. Zur Belohnung ließ die Schnullerfee gleich eine kleine Tüte Gummibärchen regnen. Die Entwöhnung ging erstaunlich schreifrei von Statten. Ronja war scheinbar bereit für diesen Schritt und seit dem sie weg ist vom Schnulli, hat sie einen riesen Sprung gemacht. Wenn sie wüsste, das wir ihn heimlich wieder eingesteckt haben und nun als schöne Erinnerung an unsere kleine Ronja mit nach Hause nehmen werden…


Über mir funkeln sie nun, die Sterne. Vom Wasserfall ist nichts weiter übriggeblieben als das mächtige Getose. Schwach heben sich die Umrisse der Anden gegen den Nachthimmel ab. Es ist kalt und meine Finger werden langsam zu steif um weiter auf der Tastatur zu schreiben. Das ist das natürliche Ende dieses Eintrags. Wenn ich den Laptop ausschalte und das Licht des Bildschirms erlischt, gibt es nur noch zwei Dinge: das Universum über mir und Patagonien unter mir. Gibt es einen schöneren Ort um Kraft für den nächsten Tag zu tanken?
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The Carretera Austral 
Villa Santa Lucia to Cochrane 

That night we camp at the confluence of Rio Baker and Rio Neff. The Rio Baker, wide and filled up with turquoise glacial water rushes with a mighty roar down a waterfall into the Rio Nef. The scenery is completed by the glaciers of the Campo Hielo Norte (Norther Icefield). The sun has completed its daily tour half a hour ago. It may only take a few minutes, until the stars of the southern sky will have won the battle against the sunlight, to help with their scintillating beauty to give the patagonian wilderness even greater grace. The hymn of praise to this beautiful country will not find its end with this post. No, it has become even more beautiful, wild, unseen, absolute. 

The Carretera Austral (South Street and prestige project of Pinochet) leads through the glacier-rich south of Chile. In the north, it starts in Puerto Montt and leads in over 1300km length to the small fishing village of Villa O'Higgens. Only 100 000 people live along the way and half of them are living in the provincial capital of Coyhaique. It's lonely and wild. Only a very short stretch of the carretera is paved. The road condition ranges from very easy-to-ride up to the nastiest washboard. According to the topography of this country full of huge lakes and rivers there are only 2 possible road gradients: steep uphill or downhill. Cycling is characterized by power-sapping hard labor. On the steep ramps the tires are spinning and downhill our wheels are hopping on the deep washboard riffles. Cold winds and the typical patagonian weather are taking care for huge distraction every single day. "Cuatro estaciones en un dia" (four seasons in one day) is the usual response to the question about the weather forecast. Today, for example, we were able to bath in sunshine at breakfast, at lunch, there was a cold wind with hail showers and our dinner was accomplished by cloudless sky with autumn feeling. But all these inconveniences simply ensure that our experience is even more unique. According to the forecast there will be  20°C with sunshine tomorrow, better that we keep the down jackets ready! 

21 months of bike packing and this desolate roads are taking their toll. In just 3 days, 2/3 of our electronic equipment has vanished. The mp3-player, the solar panal and our small stereo were the first victims. The camera has a loose connection. It has become very bitchy. On the first day on the Carretera Gregor burst his new (3000km) Schwalbe Marathon Mondial on the road construction site between Villa Santa Lucia and La Junta. We started in Alaska with two bags of spare parts and fixing materials, now there is only a tiny little rest. Cycletouring means downsizing - 2 years of it and one know what is really neccessary for living. So we just sing more often and an exciting bedtime story of Drippy the drop of water is always better, as a audio-tale. 

We have never met so many cyclists like here on the carretera austral. This came as a complete surprise, as this is in contrast to the very difficult street. We meet every day new cyclists and have almost lost track of names, origin and destination of the journey of them. There are surprisingly many young Chileans who face this tough route. But there are even more exotic cyclists on the road -  a couple from Berlin, he 75, she 68, has set out on his first bicycle tour. Many squander their annual holiday to do this route, for others it is just the beginning on the way north to Alaska. The most beautiful encounter we had in Puerto Rio Tranquillo: Betty, Joan, Ares (6) and Marianna (3) - our first cycling family! We were really excited and did not know what to say, as these four Catalans pitched their tent at the same campground. We investigated them and realized much of what we do like them. We introduced each other and finally spent the whole next day together. Unfortunately, the four go north and so it has been only a brief gathering of cylcing-families. Ares asked why we just can't go on together, the direction of each travel does not matter at all. There are many paths before us. One is also determined to be  cycled with you, Ares. You can follow this family here: http://petitsnomades.cat 

Meanwhile, there is to report from a different big event. 4 days ago the "Pacifier-Fairy" flew down to Patagonia. It happened like this: In recent weeks, Ronja has almost always, once that something has been more complicated for her, immediately called for her Niña Mama (in Ronja for "pacifier"). If she succeedes in her demand, she was always very affectionate to Lea and has fiddled with her cold fingers in her decoltee. One fine, but by Ronja's pacifier dependence very time intensive morning, it was at the time to quit. Just as she came down from one of here Niña-Mama wails Gregor asked her if she does not want to hang the pacifier in a tree. The Niña-Mama-Fairy might come by and pick it up. To our astonishment, she agreed. Of course, the pacifier had to be tied to a string-azul (in Ronja for "blue line"), which was important to her. So she hung her beloved pacifier in tree nearby. As a reward, the Pacifier-Fairy let rain a small bag of gummy bears into her chariot-trailer. The weaning off went surprisingly free of screaming. Ronja was apparently ready for this step and since she's off Niña-Mama, she has made a giant leap. If she would just know that we secretly took the pacifier and will now take it home, as a beautiful reminder of our little-baby Ronja... 

They sparkle now above me, the stars. From the waterfall nothing more is left than its mighty roar. The contours of the Andes appear weekly against the night sky. It's cold and my fingers are getting too stiff to continue writing on the keyboard. This is the natural end of this entry. If I turn off the laptop and the screen goes off, there are only two things: the universe above me and Patagonia below me. Is there a more beautiful place to restrengthfor the next day?

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